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Vom Zicklein, das bis zehn zählen konnte


Alf Propen

Es war einmal ein kleines Zicklein, das hatte gelernt, bis zehn zu zählen.

Als es an eine Pfütze kam, blieb es sehen und betrachtete lange sein Spiegelbild im Wasser, und nun sollst du hören, was geschah:

„Eins“, sagte das Zicklein.

Dies hörte ein Kalb, das in der Nähe graste.

„Was machst du da?“ fragte das Kalb.

„Ich zähle mich“, sagte das Zicklein. „Soll ich dich auch zählen?“

„Ja, wenn es nicht weh tut“, sagte das Kalb.

„Das tut es wohl nicht, steh nur still, dann werde ich dich zählen.“

„Nein, ich trau mich nicht, vielleicht erlaubt es auch meine Mutter nicht“, sagte das Kalb und zog sich zurück. Aber das Zicklein folgte ihm und sagte: „Ich bin eins, und du bist zwei. 1, 2.“

„Mutter,“ brüllte das Kalb und begann zu weinen. Da kam die Mutter des Kalbes, und das war die Leitkuh des Hofes höchstpersönlich. „Warum brüllst du?“ fragte die Leitkuh.

„Das Zicklein zählt mich!“ muhte das Kalb. „Was ist denn das?“ fragte die Leitkuh.

„Ich zähle“, sagte das Zicklein. „Ich habe gelernt, bis zehn zu zählen, ich mache einfach so: Ich bin eins und das Kalb ist zwei und die Kuh ist drei. 1, 2, 3.“ „Oh, jetzt hat es dich auch gezählt!“ muhte das Kalb.

Und als die Leitkuh es begriff, wurde sie furchtbar wütend.

„Ich werde dich lehren, mein Kalb und mich zum Narren zu halten. Komm, mein Kälbchen, wir schnappen es.“

Da sprangen die Leitkuh und das Kalb auf das Zicklein los, und das Zicklein wurde so bange, daß es hoch in die Luft sprang und vom Hof wegrannte, über die Wiese, und die Kuh und das Kalb hinterher. Hinten auf der Weide stand der Ochse und wühlte mit seinen Hörnern große Grasstücke los, als das Zicklein und du Kalb und die Kuh angelaufen kamen.

„Warum jagt ihr das kleine Zicklein“, fragte der Ochse.

„Es zählt uns“, muhte das Kalb.

„Aber wir werden es uns schnappen“, sagte die Leitkuh.

„Ich bin eins und das Kalb zwei und die Kuh drei und der Ochse vier. 1, 2, 3, 4“, sagte das Zicklein.

„Oh, jetzt hat es dich auch gezählt!“, muhte das Kalb. „Das soll es bloß versuchen“, brüllte der Ochse und gesellte sich zu den anderen, um das Zicklein zu schnappen.

Am Wegrand graste ein Pferd, als all die Tiere vorbeigerast kamen. „Ihr seid ja gewaltig in Fahrt“, sagte das Pferd.

„Wir wollen das Zicklein schnappen“, sagte die Kuh.

„Es zählt uns“, muhte das Kalb.

„Und das soll es nicht!“ brüllte der Ochse.

„Wie macht es das denn?“ fragte das Pferd.

„Ganz einfach“, sagte das Zicklein. „Eins für mich und zwei für das Kalb und drei für die Kuh und vier für den Ochsen und fünf für das Pferd. 1, 2, 3, 4, 5.“

„Oh, jetzt hat es dich auch gezählt“, muhte das Kalb.

„Wart nur, du Rauhbein!“ wieherte das Pferd und galoppierte mit den anderen den Weg hinab, um das Zicklein zu schnappen. Im Schweinekoben lag eine große Sau und schlief, als das Gefolge vorbeisauste.

„Ihr habt es ja mächtig eilig“, sagte die Sau.

„Wir wollen das Zicklein schnappen“, sagte die Kuh.

„Es zählt uns“, muhte das Kalb.

„Und das soll es nicht“, brüllte der Ochse.

„Es kann was erleben“, wieherte das Pferd.

„Wie macht es denn, wenn es zählt?“ fragte die Sau.

„Ganz einfach“, sagte das Zicklein. „Eins für mich, zwei für das Kalb und drei für die Kuh und vier für den Ochsen und fünf für das Pferd und sechs für die Sau. 1, 2, 3, 4, 5, 6.«

„Oh, jetzt hat es dich auch gezählt“, muhte das Kalb. „Das soll es bereuen!“ sagte die Sau und brach mit dem Rüssel eine Planke im Zaun Ios und setzte den andern nach. Es ging über Stock und Stein, durch Heide und Moor, und dann kamen sie an einen Fluß, und am Kai lag eine kleine Schute, und an Bord der Schute waren eine Katze und ein Hund und ein Schaf und ein Hahn.

Die Katze war der Koch, das Schaf war Küchenjunge,

der Hahn war der Schiffer, und der Hund war der Lotse.

„Halt stopp!“ krähte der Hahn, als er all die Tiere holterdipolter den Weg daherkommen sah. Aber es war zu spät. Das Zicklein stieß sich mit einem Ruck vom Kai ab und sprang an Bord und alle die anderen Tiere hinter ihm her, und dann riß die Ankerkette, und die Schute begann, über den Fluß zu fahren, wo er am tiefsten war. Da bekam der Hahn es mit der Angst.

„Kommt und helft“, krähte der Hahn. „Die Schute sinkt!“

Da wurde allen Tieren angst und bange, und der Hahn schrie wieder: „Kann einer von euch zählen?“

„Ich“, sagte das Zicklein.

„Dann zähle schnell, wie viele wir an Bord sind. Die Schute kann nur zehn Passagiere tragen.“

„Schnell, zähle bitte, zähle“, sagten die anderen Tiere.

Und da zählte das Zicklein. „Eins für mich, zwei für das Kalb, drei für die Kuh, vier für den Ochsen, fünf für das Pferd, sechs für die Sau, sieben für die Katze, acht für den Hund, neun für das Schaf und zehn für den Hahn. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10.“

„Ein Hoch auf das Zicklein !“ riefen alle Tiere, und dann fuhren sie hinüber an das andere Flußufer und gingen an Land. Das Zicklein aber blieb an Bord als Zählmeister, und jedesmal, wenn der Hahn jemanden übersetzen mußte, stand das Zicklein am Ufer und zählte bis zehn.